On the occasion of the 25th anniversary of city relations between Berlin and Beijing our CITYMAKERS-team developed a new framework for Sino-German twin cities to further learn and innovate for liveable city making.
Nein, man kann nicht sagen, dass Peking eine schöne Stadt ist. Sicher: Es gibt eine Menge prächtiger Sehenswürdigkeiten von Weltrang – die Verbotene Stadt, den Himmelstempel, den Sommerpalast, den Lama Tempel und das, was von der Hofhausbebauung der Altstadt übrig geblieben ist. Und auch das neue Peking kann mit Glanzstücken aufwarten, wie mit der von Rem Kohlhaas gebauten CCTV-Zentrale, dem Kunstdistrikt 798, Zaha Hadids Galaxy Soho, der neuen Magnetschwebebahn in Mentougou oder dem Citic-Tower im Central Business District. Doch wirklich schön – so wie etwa Paris, Rom, Stockholm oder München – ist der Rest der Stadt nun wirklich nicht.
Doch dieser Mangel fiel in der Vergangenheit kaum ins Gewicht. Er wurde nämlich durch eine gewisse Unaufgeräumtheit und Verkrempelung ausgeglichen. Selbst in den sterilsten Hochhausvierteln fanden sich Tante-Emma-Läden, kleine Straßenmärkte, fliegende Händler und Snackverkäufer, illegale Bars und zusammengezimmerte Restaurants. Bevölkert wurde diese facettenreiche Stadt nicht nur von alteingesessenen Pekingern, sondern auch von Zuwanderern aus dem Rest des Reiches, aus Anhui, Sichuan, Guizhou oder Yunnan. Hatten diese nur eine Zeit lang Stadtluft geatmet, erwiesen sie sich als mindestens ebenso gewitzt, renitent und begabt in Improvisation wie die Ureinwohner. Dazu gesellten sich Wahlpekinger aus aller Welt – Amerikaner, Australier, Koreaner, Afrikaner und Europäer. Viele wollten nur ein paar Wochen bleiben, blieben dann aber kleben, weil sie sich der einzigartigen Pekinger Mischung aus Tradition, Improvisation und Moderne nicht entziehen konnten.
Seitdem nun aber die Stadtregierung beschlossen hat, die Hauptstadt herauszuputzen, um sie auf Weltmetropolenniveau zu bringen, ist diese eigentliche Schönheit bedroht.
Alles illegal Errichtete und übermäßig Bunte soll aus Pekings Straßen verschwinden: Läden, Bars, Galerien, Stände der Lammspießgriller und Pfannkuchenverkäufer. Sogar zu groß geratene Schriftzeichen an Polizeistationen und auf Dächern von Staatsverlagen fallen dem Reinemachen zum Opfer. Barviertel verwandeln sich in poshe, plastikblumengeschmückte Fußgängerzonen, in denen jetzt nach Einbruch der Dunkelheit so viel Leben herrscht wie auf dem Babaoshan-Friedhof im Westen Pekings. Zugegeben, nicht alles an der großen Umgestaltung ist schlecht: An der Peripherie der Stadt sind im Norden, Westen und Süden gewaltige Parks entstanden, sämtliche Kohlekraftwerke auf dem Stadtgebiet wurden abgerissen und auch Kohlehausbrand ist jetzt verboten. Das hat die Luftqualität in der Stadt dramatisch verbessert. Und darüber, dass den zweiten Ring jetzt ein Grünanlagenband einrahmt und über das perfekt funktionierende, sechshundert Kilometer lange U-Bahnnetz, kann man nun auch nicht meckern.
Doch mit den Eckgeschäften und Restaurants, den Märkten, Kneipen und Galerien sind auch viele der Menschen verschwunden, die das Leben in Peking so abwechslungsreich machten. Geblieben sind die mittleren und höheren Angestellten und alle anderen, die sich das Leben in der oberaufgeräumten und inzwischen auch recht kostspieligen Stadt leisten können. Sie leben nun wie höhere Angestellte überall auf der Welt.
Ich bin mir aber sicher, dass dieser Trend zum Uniformen nicht von langer Dauer sein wird. Peking zeichnet sich nämlich auch dadurch aus, dass die Stadt immer wieder eine andere wurde. Selbst der Ort, an dem sie vor rund 3.000 Jahren gegründet wurde, lag rund zwanzig Kilometer vom heutigen Stadtkern entfernt. Danach ist die Stadt dann immer weiter nach Nordosten gewandert, und nahm auf dem Weg immer neue Namen an: Ji, Yanjing, Zhongdu, Dadu, Beiping, Beijing. So glaube ich auch, dass in dem Moment, in dem die Stadtregierung für ein paar Augenblicke nicht aufpasst, sich die alte unaufgeräumte Schönheit wieder herstellt. Dann kommt auch die alte Pekinger Mischung zurück, die diese Stadt so attraktiv gemacht hat.
Christian Y. Schmidt, geb. 1956, Journalist, Satiriker und Schriftsteller, lebt in Peking und Berlin. Er schrieb diverse Bücher über China, darunter die Reiseerzählung Allein unter 1,3 Milliarden. Eine chinesische Reise von Shanghai nach Kathmandu (Kahl Verlag 2014) und Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (Rowohlt, 2009). Letzte Veröffentlichung: der Mysterienroman Der letzte Huelsenbeck (Rowolth. Berlin 2018).