Hamburg Maschine – Initiativprojekt Stadtkuratorin der Stadt Hamburg

Published November 2018
Location Hamburg
© Volker Stahl / stahlpress Medienbüro

STADTMACHER China – Deutschland Redakteur Silvan Hagenbrock im Gespräch über das Kuratieren von Stadt, Peripherie, und Kunst im öffentlichen Raum mit Dirck Möllmann, Stadtkurator der Stadt Hamburg.

Herr Möllmann, Sie kommen gerade als Kurator aus Graz, wo sie am Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark/Universalmuseum Joanneum tätig waren. Was oder welche Ansätze zu Kunst im öffentlichen Raum nehmen Sie persönlich aus Graz mit nach Hamburg zu Ihrer neuen Arbeitsstelle?

Wie gut, dass Sie mich gleich zu Beginn auf Graz ansprechen, diese wunderschöne, überschaubare und kulturell sehr dichte Stadt mit einer konzentrierten Arbeitsatmosphäre. Ich habe Graz schweren Herzens verlassen, aber ich bin eben doch auch weggegangen, weil die inhaltliche Herausforderung als Stadtkurator in Hamburg mich sehr gereizt und motiviert hat. Graz verdanke ich das Wichtigste – das Thema der „Digitalität“, das in meinem Programm HAMBURG MASCHINE eine große Rolle spielt. Das jährliche Grazer Festival Elevate war neben der Arbeit für das Institut eine wichtige Inspirationsquelle für mich. Mit Club-Musik, Konzerten, Diskussionspanels von internationalem Format, Workshops und Kunst wird zeitgenössische, technologische und kreative Kulturarbeit praktiziert, die sich jährlich um ausgewählte Themen und politische Fragen kümmert. Zwischen Aktivismus, Independence und Kunst im weitesten Sinne wird ein junges, aktives Programm geboten. In Deutschland ist das vielleicht vergleichbar mit den Kongressen des Chaos Computer Clubs oder der Berliner Transmediale, nur in Relation etwas kleiner und kompakter in Graz. Für Hamburg möchte ich diese Anregungen für den öffentlichen Raum skalieren, das heißt mit Kunst in größerem und kleinerem Maßstab für die Sichtbarkeit des Demokratischen im Öffentlichen sorgen.

„Stadt kuratieren“ hat sich seit einigen Jahren zu einem Trendbegriff entwickelt. Ob Hans-Ulrich Obrist oder Elke Krasny – man findet zahlreiche Literatur zum z.B. „Wie“ des städtischen Kuratierens. Wie kuratieren Sie das komplexe Gefüge von Stadt und wie kann ich Teil davon werden?

Ehrlich gesagt, halte ich wenig von diesen kurzfristigen Trend-News. Obrist und Krasny machen seit Jahrzehnten absolut anerkannte Arbeit im öffentlichen wie auch im geschützten musealen Raum und das Kuratieren als Leitbegriff halte ich für überbewertet. Ich kann eine Stadt überhaupt nicht kuratieren in dem Sinne, dass ich eine Stadt gestalten oder gar bespielen würde, wie man im Kunstkontext auch gerne sagt, ohne sich diesen Zynismus klar zu machen. Das sind völlig andere Prozesse und Machtverhältnisse, die an einer Stadt bauen und mitgestalten. Mich interessiert ein basisbezogenes Arbeiten, warum ich im Moment viel Kommunikationsarbeit mit lokalen Initiativen, Bezirksversammlungen und Stadtteilen leiste. Ich möchte mein Programm und seine Möglichkeiten in die Peripherie tragen, auch wenn ein Teil der Kunst im Zentrum stattfinden muss. Die guten Erfahrungen mit den Rändern von urbanen und landschaftlichen Zonen sind übrigens auch ein gestalterischer Zugewinn aus meiner Grazer Zeit. Sie selbst könnten Teil werden durch Interesse an öffentlicher Kunst und durch Ihre Aufmerksamkeit für politische Prozesse. Am Ende der HAMBURG MASCHINE steht vielleicht auch eine neue Institution oder ein Modellinstitut, das nach basisbezogenen Prinzipien zusammenwächst, wie es z. B. der Munizipalismus in Südeuropa erfolgreich erprobt. Ein lokales Modellinstitut von internationalem, basalem Geist wäre für das Initiativprojekt Stadtkuratorin Hamburg mit Sicherheit ein Riesenschritt in eine neu zu gestaltende Zukunft öffentlicher Kunst.

„Kunst am Bau“ oder „Kunst im öffentlichen Raum“ – einige Kommunen haben sich darauf festgelegt, einen bestimmten Prozentsatz der Investitionen von Bauvorhaben in „Kunst im öffentlichen Raum“ fließen zu lassen. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation in Deutschland ein, Bauvorhaben an einen Mindestsatz an Investitionen in Kunst im öffentlichen Raum zu knüpfen?

Das Thema „Kunst am Bau“ ist ein Nachkriegsphänomen, das in manchen Städten fortgeführt wird, um Künstler:innen die Umsetzung von Projekten größeren Maßstabs mit hoher Qualität zu ermöglichen. In Hamburg läuft die Förderung von „Kunst am Bau“ und „Kunst im öffentlichen Raum“ parallel, gespeist aus verschieden gewidmeten Budgets. In Graz wurden die Mittel für Kunst am Bau für die Kunst im öffentlichen Raum umgewidmet. Dennoch gibt es weiterhin Kunst am Bau in Verantwortung teil-privatisierter öffentlicher Institution wie die BIG ART der Bundesimmobliliengesellschaft m.b.H. (www.big-art.at) oder die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft m.b.H., KAGes (www.kages.at). Die Stadt München führt das wahrscheinlich ehrgeizigste Programm für Kunst am Bau in Deutschland unter dem Namen Quivid durch (http://quivid.com/). Die Verbindungen zur Baubehörde sind sehr eng und viele öffentliche Bauten werden von einem künstlerischen Wettbewerb oder einer Einladung begleitet. Das ist alles sehr interessant, obwohl die Kunst in Zusammenhang mit Architektur sehr starke Einschränkung erfährt. Das ist mitunter wie bei Zulassungsanträgen für Kunstwerke auf Plätzen oder in Parks etc. eine Sisyphusarbeit, die nur manchmal erfolgreich ist.

Das Initiativprojekt Stadtkuratorin Hamburg der Behörde für Kultur und Medien der Stadt Hamburg ist ein Pilotprojekt in Deutschland. Wenn Sie nun aus dem Jahr 2020 auf die Gegenwart schauen, was ist der Stand der Stadt und was hat sich 2020 gewandelt?

Das Initiativprojekt Stadtkuratorin Hamburg ist auf zwei Jahre begrenzt und mit einem eher schmalen Budget ausgestattet. Es soll viele Bedürfnisse und Hoffnungen aus unterschiedlichen Richtungen befriedigen, auch weil es sich auf eine erfolgreiche Fördergeschichte von Kunst im öffentlichen Raum bezieht, die in den letzten Jahren ein bisschen stiefmütterlich behandelt wurde. Hamburg ist eine Stadt mit stolzen Einwohner:innen, die auf ihrer historisch verbürgten Unabhängigkeit und ihren Handelstraditionen bestehen. Vielleicht hat sich auch aus diesem Grund eine starke subkulturelle Gesellschaft gebildet, die ihre Rechte auf Stadt (http://www.rechtaufstadt.net/) einfordert, das offizielle Immobiliengeschehen sehr kritisch begleitet und parallele Strukturen aufbaut (z. B. https://www.fux-eg.org/ oder https://planbude.de/). Sollte in 2020 aus diesem, ich würde in Anlehnung an Guattari sagen, „maschinischen Gefüge“ ein neues Institut für Kunst im öffentlichen Raum in Vorbereitung gehen, wäre ich ein glücklicher Mann.

Sie nehmen in ihrem Projekt HAMBURG MASCHINE Bezug auf den Maschinenbegriff von Felix Guattari. Er sagt, dass die ‚Maschine’ Beziehungen zu ihrer Umwelt unterhält und sich gleichermaßen dieser Umgebung mit ihren sozialen Verknüpfungen öffnet. Ihm geht es darum, das „Konzept der technologischen Maschine zu dem der maschinischen Gefüge“ zu erweitern. Können Sie Ihr Verständnis des Maschinenbegriffs erläutern und darlegen, warum Sie Guattari passend im Hinblick auf Kunst und öffentlichen Raum finden?

Der Begriff Maschine ist für mich eine Metapher, die Kerntechnologien des 20. und des 21. Jahrhunderts gleichermaßen umschreibt. Der große Unterschied ist die Digitalität, also die Kultur des Digitalen, die all unsere analog erworbenen Fähigkeiten des Lernens, des Symbolisierens und Kommunizierens durch digitale Technologie herausfordert. Das ist ein Umbruch, der mindestens so tief in soziale Gefüge eingreift wie es die Dampfmaschine, der Motor und andere Maschinen der ersten Industrialisierung getan haben. Der Begriff „maschinisches Gefüge“ ist ein früher Versuch von Guattari (1992), ein Wort zu finden, das die Verflüssigung – oder um seinen zweiten wichtigen Begriff zu nutzen, die Transversalität – als die mehrdimensionale Durchdringung von Gesellschaft durch techno-soziale Entwicklungen und ihre verschwundenen und veränderten Grenzen zu umschreiben. Das ist alles nur sehr komplex zu verstehen, aber ein Wort ist immer auch ein Bild und mit der HAMBURG MASCHINE versuche ich gesellschaftliche Bilder mit Kunst im öffentlichen Raum zu zeigen und sie anders nutzbar zu machen.

Wenn Sie eine Projektidee im Rahmen von STADTMACHER China – Deutschland einreichen könnten. Was wäre das im Hinblick auf den öffentlichen Raum und Kunst?

Ich war nie in China, ich spreche die Sprache nicht und kann sie nicht lesen. Ein guter Freund von mir ist dort sehr oft gewandert und hat Kunst gemacht. Wenn ich mich auf ihn beziehen dürfte, dann würde ich ein Projekt der Erkundungen und der Versuche vorschlagen, das sich mit den digitalen Veränderungen, mit den techno-sozialen Disruptionen der chinesischen Gesellschaft beschäftigt, in dem das riesige Land und seine Megastädte Schritt für Schritt einfach ergangen wird. Mal schau’n, was dann passiert.

Welche Orte, Straßen, Nachbarschaften etc. fallen Ihnen ein, wenn Sie an ein lebenswertes Stadtmachen in ihrer ehemaligen Heimat Graz, ihrer Geburtsstadt Wetzlar und ihrer neuen Wahlheimat Hamburg denken?

Wichtige und liebenswerte Orte in Graz sind nicht nur die Ufer der Mur und der steile Schlossberg, die regionalen Märkte und all die vielen, klugen und charmanten Menschen dort und ihre schöne Sprache, sondern auch der Kunstverein <rotor>, der seit zwei Jahrzehnten unentwegt und nachhaltig Stadteilarbeit mit internationalen Programmen macht. Das Forum Stadtpark zählt schon seit den 1960er Jahren dazu und die Camera Austria als kritischer Gegenpol in Sachen Fotografie. Der steirische herbst hat Graz dann international bekannt gemacht. Persönlich vermisse ich das Institut für Kunst im öffentlichen Raum und meine Lesegruppe für zeitgenössische Theorie. All diese Mosaiksteinchen machen eine lebendige Stadt für mich aus und in Hamburg gibt es diese Möglichkeiten in einem etwas größer skalierten Maßstab. Doch jenes bestimmte-unbestimmbare Klima einer Stadt und ihrer Landschaften, die Milde oder die Härte und ihr Einfluss auf Atmosphären, Stimmungen und Verhalten der Menschen und Tiere, das ist unübersetzbar – auch in China.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kontakt und Links

Dirck Möllmann (*1963) – lebt in Hamburg
Studium der Kunstgeschichte, Literaturwissenschaften und Philosophie in Hamburg.Seit 4/2018: Stadtkurator für das Initiativprojekt Stadtkuratorin Hamburg

stadtkurator@stadtkuratorin-hamburg.de
Stadtkuratorin Hamburg

https://www.big-art.at/
http://www.kages.at/
http://quivid.com/
http://www.rechtaufstadt.net/
https://www.fux-eg.org/ 
https://planbude.de/