Seit Beginn des Stadtmacher-Programms lernen wir laufend: 2014 kam eine Gruppe von STADTMACHER-Programmplanern im Rahmen eines Strategie-Workshops in den Genuss eines geführten Spaziergangs mit Dr. Eduard Kögel, der uns auf der Suche nach Visionen der lebenswerten Stadt durch das Märkische Viertel führte. Nicht nur anlässlich des CITYMAKERS-2020-Virtual Walk Projektes haben wir diesen Spaziergang noch einmal “hervorgeholt”, auch ist die Thematik des sozialen Wohnungsbaus noch immer hoch relevant.
Blick zurück in die Zukunft
Das Märkische Viertel im vormals Französischen Sektor West-Berlins entstand nach dem Mauerbau ab 1963 als Großsiedlung am Stadtrand. Auf dem Gelände befanden sich vorher Ackerflächen, Einfamilienhäuser und ein Lauben- und Notwohnquartier, in dem nach dem Krieg über 12.000 Menschen in teils unzureichenden hygienischen Verhältnissen lebten. Im Gegensatz zu den seriellen Plattenbauten der DDR entwarfen die Architekten hier ambitionierte Gebäude, die dennoch zumeist in vorgefertigter Bauweise errichtet wurden. Der heutige Zustand, nämlich das Wohnen im Park, verweist auf das 1957 fertiggestellte Hansaviertel. Die Vision der Planer verband eine Parklandschaft mit einer großmaßstäblichen, aber räumlichen Architektur, die in deutlicher Differenz zum damals üblichen Zeilenbau mit Abstandsgrün stand.
1962 legten die jungen Architekten Hans C. Müller und Georg Heinrichs unter der Leitung von Senatsbaudirektor Werner Düttmann die erste städtebauliche Idee vor und beauftragten zwanzig junge Kollegen für den Wohnungsbau. Der Plan definierte drei Bauarme, die von einem Zentrum ausgehend Landschafts- oder Einfamilienhausgebiete umschlossen. Als städtischer Boulevard entstand der Wilhelmsruher Damm, der im Osten an der 1961 gebauten Berliner Mauer endete. Die landeseigene GESOBAU wurde als Sanierungsträger eingesetzt. Die Bedeutung des Wohnquartiers mit über 17.000 Wohneinheiten gewann vor der 1963 vom Regierenden Bürgermeister Willy Brandt verkündeten Kahlschlagsanierung in der Innenstadt eine zusätzliche politische Dimension. Der soziale Wohnungsbau am Stadtrand sollte bezahlbaren Wohnraum für Zuzügler aus West-Deutschland und für die aus den Altbauquartieren umgesetzten Mieter bereitstellen.
Unter dem Obertitel »Berlin geht neue Wege« diskutierten die Fachleute im November 1963 in der Akademie der Künste die Pläne der Stadtstruktur. Die Architekten Georg Heinrichs, Oswald Mathias Ungers und Herbert Stranz sprachen sich für eine Mischung der Funktionen aus, und auch Werner Düttmann befürwortete neben dem kommerziellen Zentrum eine gestreute Verteilung der Läden, »beinahe altmodisch im Erdgeschoss in Bodennähe für die Hausfrau«, wie Eberhard Schulz 1975 anmerkte. Die wirtschaftlichen Interessenvertreter betonten die Bedeutung der Konzentration, und so entstand eine zentrale Shoppingmall, die zu den ersten in Berlin gehört.
Bauphase 1963 – 1968
1964 wurden die ersten 172 Wohnungen am Dannenwalder Weg bezogen. Die meisten Mieter kamen aus den abgerissenen Lauben (61%) oder waren deren Tauschpartner (22%). Die Baugruppe mit dem offenen Hof zur Grenzanlage der Berliner Mauer staffelt sich von vier auf vierzehn Geschosse, mit bis zu fünf Wohnungen pro Aufgang. Ungewöhnlich hoch war der Anteil an Rentnern, die fast ein Viertel der Bewohner ausmachten. Der zweite Abschnitt mit 656 Wohneinheiten entstand am Bernhausener Ring, nördlich des Kerngebiets. Auch hier kamen die meisten Mieter aus den abgerissenen Lauben, und ein Viertel war im Rentenalter. Die Zeit zitierte 1969 den Fürsorger Simon, der feststellte: »Vom Kleinsiedler, der versuchte, seine Ziege mit auf den Balkon zu nehmen, vollzog sich der Wandel zum Kleinbürger mit Heimatgefühl fast reibungslos.«
Im dritten Abschnitt des Schweizer Architekten Karl Fleig am Wilhelmsruher Damm änderte sich die Bewohnermischung zwischen 1966 und 1967 dramatisch. Die Mieter kamen – oft nicht freiwillig – aus den Sanierungsgebieten in Kreuzberg und Wedding sowie aus West-Deutschland. Die Behörden wiesen viele Großfamilien aus den Obdachlosenunterkünften der Stadt in die 283 Wohnungen ein. Zeitweise benötigte jede zweite Familie die Unterstützung der Fürsorge. Der kräftige Farbanstrich nach einem Konzept des Künstlers Utz Kampmann brachte dem Abschnitt von Fleig sogleich den Spitznamen »Papageiensiedlung« ein. Hier waren 40% der Frauen erwerbstätig, und eine öffentliche Kinderbetreuung wurde unerlässlich. Südlich der Bebauung entstand deshalb in der Markendorfer Straße gegen den Willen vieler alteingesessener Bewohner der erste betreute Abenteuerspielplatz in Berlin.