2015 zog Katja Hellkötter von Shanghai nach Weißensee. Dass das Empfinden, was einen Kiez lebenswert macht, auch sehr individuelle Bezugspunkte haben kann, die vor dem Film der persönlichen Erinnerung und Assoziationen zu ganz anderen Orten und Erlebtem entstehen, zeigt dieser Kiez-Artikel von Katja Hellkötter.
Betritt man den Hof der Baufachfrauen, schaut man direkt in die Werkstatt, in der gesägt, gefräst und gehobelt wird. Im Hof stehen zahlreiche Holzmöbel, die von den Ideen und vom Schaffen des Vereins zeugen. Den Eingang zum Bürotrakt linker Hand säumen Hochbeete mit frischen Kräutern. BAUFACHFRAU Berlin e.V., ein Verein zur Förderung von Frauen in Bau- und Ausbauberufen, wurde 1988 in West-Berlin gegründet. Nach der Wende kam der Umzug nach Weißensee und seit 2009 sitzt der Verein an seinem aktuellen Standort an der Lehderstraße.
Hier empfangen zwei langjährige Mitarbeiterinnen des Vereins, die Architektinnen und Projektleiterinnen Ilka Holtorf und Jutta Ziegler, das Redaktionsteam von STADTMACHER China – Deutschland, Kika Yang, Maja Linnemann und Wu Yimeng. An einem großen, geschwungenen natürlich selbstgebauten Holztisch in einem Raum neben der Werkstatt erzählten sie von der Geschichte und den zahlreichen Aktivitäten und Leitlinien des Vereins.
„Das Ziel des Vereins war von Anfang an, Frauen in technischen und handwerklichen Berufen auf dem Arbeitsmarkt zu unterstützen“, erklärt Jutta Ziegler. Der Verein hat heute 13 festangestellte Frauen und circa neun Auszubildende für das Tischlerinnenhandwerk in der Tischlerei HolzArt. Die Projektleiterinnen sind voll ausgelastet, denn der Verein ist stadtweit inzwischen sehr bekannt, und hat jederzeit über viele Projekt- und Kooperationsanfragen zu entscheiden. Eine Vergrößerung ist aber nicht angedacht, aus finanziellen Gründen – der Verein an sich ist gemeinnützig, erhält aber keine regelmäßige Förderung – und weil die Büroarbeitsplätze begrenzt sind. „Unser jetziger Standort in der Lehderstraße ist ideal“, ergänzt Ilka Holtorf, „weil wir hier Büro und Werkstatt zusammen haben können, da es ein Mischgebiet aus Wohnen und Gewerbe ist.“ Im Hof und in den Innenräumen sieht man viele unterschiedliche Holzmöbel, die vom kreativen Schaffen der Mitarbeiterinnen zeugen.
Die Projekte, an denen sich der Verein beteiligt, finden allerdings in ganz Berlin statt. „Es sind immer partizipative Projekte!“, betont Holtorf. „Wir liefern keine fertigen Lösungen. Wir entwickeln jedes Projekt von der Idee an gemeinsam mit den jeweiligen Partner*innen bzw. Einrichtungen. Wenn zum Beispiel ein Mädchenladen einen Raum zu einem Treffpunkt umbauen will, schauen wir gemeinsam was sie für Bedürfnisse haben und was sie da konkret machen wollen. Und dann werden die „Nutzerinnen“ auch in den Bau einbezogen, hängen die Regale mit auf und so weiter. Es passiert auch mal, dass die etwas wollen, was wir nicht gut finden, eine Wand knallrot zu streichen, aber wenn das ihr Wunsch ist, machen wir das so.“
„Wenn in diesem Fall die Mädchen mitarbeiten, verlieren sie einerseits die Angst vor der ‚Technik‘ und können später auch Zuhause zur Bohrmaschine greifen und ihre Regale anbringen“, ergänzt Ziegler. „Außerdem versuchen wir zu erreichen, dass sie den neuen Raum als ihr „Eigenes“ betrachten, Reparaturen selber ausführen können und Wertschätzung für die ‚Dinge‘ entwickeln.“
Verschiedene Zielgruppen
Unter demselben Motto der Partizipation standen zwei Projekte zwischen Menschen mit Fluchterfahrung und den Baufachfrauen. „Unser erstes Projekt 2015 hieß „Better Place“, berichtet Holtorf. „Dabei haben wir in Reinickendorf zusammen mit zwei Familien zwei Wohnungen instandgesetzt, die ihnen zugeteilt worden waren, und die ursprünglich in einem ziemlich desolaten Zustand waren. Danach haben wir in einer Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, auch in Reinickendorf, Schutzräume für Frauen eingerichtet. Die Trägerin der Einrichtung hatte zwei tolle Räume dafür zur Verfügung gestellt, die seit 30 Jahren nicht genutzt worden waren. In einem langen Prozess, der ein Jahr dauerte, haben wir zusammen mit den Frauen in der Unterkunft und ehrenamtlichen Helfern die Räume nach deren Bedürfnissen und Wünschen geplant, als Treffpunkt zum Kaffeetrinken, für Seminare, Kurse, Yoga, Beratungen. Es war sehr spannend, auch mit denen die praktischen Arbeiten zu machen, Verspachteln, Farbe mischen und so weiter. In einer anderen Einrichtung haben wir Hochbeete gebaut, wo die Frauen Gemüse gepflanzt haben, und selber damit kochen konnten.“
Speziell in Weißensee kooperieren die Baufachfrauen mit den VIA-Werkstätten, der Kunsthochschule Weißensee, und mehreren Schulen wie der Hagenbeck-Schule und der Adolf-Glaßbrenner-Grundschule in Kreuzberg. Manchmal bitten Schulen um spezielle Workshops, um handwerkliche Berufsbilder darzustellen, „klassische“ Rollenbild zu hinterfragen, Frauen als Vorbilder zu sehen und eine gendergerechte Durchführung zu ermöglichen. Die Acht- bis Zwölfjährigen hantieren dann – natürlich unter Aufsicht und nach ausführlicher Sicherheitsbelehrung – mit Bohrmaschine und Säge. Nebenbei ist der Verein auch aktiv in der Vernetzung im Stadtteil in Frauengremien, Frauen-Initiativen, Beiräten und in Handwerkerinnenvereinigungen.
Förderung der Kreislaufwirtschaft
Ein weiteres Projekt, das von der Nationalen Klimainitiative gefördert wird, läuft unter dem Titel „.hikk lokal = Holz im Kreativkreislauf“. „In unserer Werkstatt fallen ja viele Reste an, die sind von hoher Qualität, aber wir können sie nicht lange lagern und wir können auch nicht Einzelpersonen abfertigen, die hier her kommen. Daher bieten wir zusammen mit dem ZK/U Moabit (Zentrum für Kunst und Urbanistik) am Gütermarkt einmal monatlich eine Open Air-Werkstatt an.“ In der Werkstatt kann man unter fachlicher Anleitung in Workshops kleine Möbel oder Produkte aus diesen hochwertigen Materialien bauen. Diese Workshops sind offen für alle ab 10 Jahren. Außerdem gibt es eine Börse für Restholz. Innerhalb so einer Werkstatt hat auch Pia Grüter Teile für ihr Tiny House gebaut, welches 2019 am Mirbachplatz steht. Ein schönes Beispiel für sinnvolle Resteverwertung, ein hohes, buntes Regal, steht auch im Sitzungsraum.
QLab – Qualifizierungsmaßnahme für arbeitssuchende Frauen
Unbedingt erwähnt werden muss auch das QLab, ein Qualifizierungslab für arbeitssuchende Frauen. Es wird von verschiedenen Stellen wie dem Europäischen Sozialfonds und der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung gefördert. Seit 2018 finden jährlich zwei Durchgänge zu drei Themenblöcken statt. Die Teilnehmerinnen wählen unter Upcycling + Zero Waste, Nachhaltige Baustoffe oder Grüne Stadt und bekommen dann an zehn Tagen innerhalb eines Monats ein volles Programm aus praktischen Übungen (Planen, Entwurf, Bauen), Exkursionen und Vorträge von Expert*innen. Im Falle der „Grünen Stadt“ wurden Urban Gardening- oder Dachbegrünungsprojekte besucht und auch unter der Frage „Was braucht man dafür an „Möblierung?“ betrachtet. „Hinzu kommt ein Coaching für die individuelle berufliche Entwicklung“, ergänzt Ziegler. „Die teilnehmenden Frauen haben meist einen Hochschulabschluss, wollen aber etwas Neues machen, oder sich umorientieren.“
Die letzte Frage eines STADTMACHER China – Deutschland Interviews ist immer, wie die STADTMACHER-Plattform Unterstützung bieten könnte. „Gemeinsame Aktionen, die die öffentliche Sichtbarkeit fördern, bei Themen, die uns auch wichtig sind“, ist die Antwort. „Wenn man da was gemeinsam machen könnte, wäre das sehr schön.“