Die deutsche Kolonialgeschichte in China begann in Wuhan

Published September 2020
Location Wuhan
Blick über den deutschen Kaianlagen am Jangtse, 1908. Links das Deutsche Konsulat und daneben die Filiale der Deutsch-Asiatischen Bank. | © Studienwerk deutsches Leben in Ostasien e.V.

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Zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten die drei Städte Hankou, Hanyang und Wuchang – die heute Wuhan bilden ­– geteilt durch die Flüsse Jangtse und Han, zusammen mehr als eine Millionen Einwohner. Da Seeschiffe über den Jangtse bis weit ins Landesinnere fahren konnten, war der Ort prädestiniert für den Handel.

Die Briten erzwangen bereits nach dem Zweiten Opiumkrieg 1861 eine Konzession, gefolgt von Russland und Frankreich (1886), Deutschland, (1895) und Japan (1898). Ein deutsches Konsulat bestand hier seit 1888.

Das Deutsche Reich nutzte die Schwäche der Qing-Dynastie Ende des 19. Jahrhunderts aus, um drei Konzessionsgebiete in China zu etablieren. In Hankou entstand die erste Konzession, zu der wenige Tage später eine zweite Konzession in Tianjin kam. Drei Jahre später etablierte das Deutsche Reich die weit größere Kolonie in Qingdao in der Provinz Shandong, deren Existenz bis heute im kollektiven Gedächtnis erhalten blieb.

Das Gebiet in Hankou lag zwischen der französischen und der japanischen Konzession direkt am Jangtse. Der deutsche Ingenieur Gustav Leinung erstellte noch 1895 eine erste Karte des Gebietes. Es hatte zirka 46 Hektar und einen Kilometer Front am Fluss. Drei Jahre später diskutierte der deutsche Reichstag in Berlin eine »Denkschrift über die deutschen Niederlassungen in Tientsin und Hankau«. Dort wird als Grund für die Konzession angegeben, dass die Briten den deutschen Händlern nicht erlauben würden, ihre Piers zu nutzen. Allerdings hatte das Deutsche Reich massive Interessen seine kolonialen Bestrebungen in China durchzusetzen und auszuweiten. Da die Regierung in Berlin keine entsprechende koloniale Administration hatte, beauftragte man 1897 die Deutsch-Asiatische Bank, die urbane Entwicklung und die notwendige Infrastruktur zu koordinieren. Das Deutsche Reich konnte die chinesischen und ausländischen Vorbesitzer zu geringen Kosten enteignen und sicherte sich für eigene Zwecke zwei Grundstücke, für das Konsulat und für das Rathaus.

Der Regierungsbaumeister Schönsee kam Ende 1898 nach Hankou um im Auftrag der Deutsch-Asiatischen Bank einen Straßenplan und die technische Infrastruktur zu entwerfen. Er ließ das Gelände einebnen und zum Fluss um fünf Meter aufschütten, befestigte die Uferkante mit Sandstein und lies breite Treppen zum Wasser bauen. Die saisonale Schwankung des Wasserspiegels des Jangtse erforderte eine präzise Planung. Während sich das Straßenraster der britischen, russischen und der französischen Konzession organisch dem Bestand anpasste, nivellierte Schönsee alle vorhandenen Bauten und die Topographie, um mit einem rigiden rechtwinkeligen Raster eine radikal-funktionale Grundlage für die urbane Entwicklung zu schaffen. 1899 gründete die Deutsch-Asiatische Bank die Hankou-Niederlassungs-Gesellschaft, die nach einer Übergangsfrist die Selbstverwaltung übernehmen sollte. Während der deutsche Konsul vorschlug, Chinesen und Deutsche frei siedeln zu lassen, argumentierte die Bank dagegen, denn sie sahen Schwierigkeiten beim Verkauf der Grundstücke. So entstanden segregierte Cluster in denen entweder die Deutschen (und andere Ausländer) wohnten, oder aber die chinesischen Arbeiter, die in engen und dicht belegten Quartieren unterkamen.

Hankou, Hanyang und Wuchang an den Flüssen Han und Yangtse. Die deutsche Konzession in ihrer Ausdehnung von 1915 ist braun dargestellt. © Eduard Kögel

Prinz Heinrich von Preußen (1862–1929), der jüngere Bruder des deutschen Kaisers Wilhelm II. (1859–1941), besuchte Hankou im Frühjahr 1899 und legte am 30. April den Grundstein für den Kai. Die Straße am Flussufer, der Bund, wurde folglich Prinz Heinrich Ufer genannt. Parallel dazu verlief die Wilhelmstraße, benannt nach Kaiser Wilhelm II. Die dritte Parallelstraße, die auch die Grenze der Siedlung bildete, benannte man nach Friedrich III. (1831–1888), dem Vater von Heinrich und Wilhelm. Die Straßen vom Fluss ins Siedlungsgebiet erhielten Frauennamen aus der erweiterten kaiserlichen Familie, z. B. Augusta-Straße, Dorotheen-Straße und so weiter. Parallele Gassen erhielten Namen wie Tsingtao Gasse, Kiautschou Gasse, Shantung Gasse und Pinghsiang Gasse – Namen, die an andere deutsche Konzessionen und Einflusssphären in China erinnerten.

„Wuhan, das wegen seiner fortgeschrittenen Industrialisierung auch »Chinese Chicago« oder »Chinese Manchester« genannt wurde, entwickelte sich zu einem wichtigen infrastrukturellen Knoten von Schiene und Wasserweg.“

Erst im Januar 1906 erlaubte die Berliner Regierung die Gründung eines regulären Kommunalverbandes in Hankou. Der Grundstücksverkauf und die Bautätigkeit verliefen dennoch schleppend. Stolz kündete nur das gerade fertig gestellte Konsulat von den deutschen Ambitionen, ansonsten befanden sich lediglich vier weitere Gebäude in den chinesischen Vierteln im Bau. Eine der ersten Aktivitäten der neuen Selbstverwaltung war der Bau eines Rathauses mit Polizeistation und angeschlossenem Gefängnis. Die Firma Melchers & Co. beauftragte man mit der elektrischen Straßenbeleuchtung und der gesamten Elektrifizierung. Die Fertigstellung der Bahnverbindung nach Peking vereinfachte ab 1906 die Transporte, und Wuhan, das wegen seiner fortgeschrittenen Industrialisierung auch »Chinese Chicago« oder »Chinese Manchester« genannt wurde, entwickelte sich zu einem wichtigen infrastrukturellen Knoten von Schiene und Wasserweg.

Im chinesischen Teil der deutschen Konzession in Hankou, 1908. | © Studienwerk deutsches Leben in Ostasien e.V.

1908 verkaufte die deutsche Niederlassungsgesellschaft das letzte Stück Land und löste sich auf. Die meisten Grundstücke gehörten wenigen großen, zumeist deutschen Firmen, die die Konzession wie ein Industriegebiet betrieben. Am weitesten vom Fluss entfernt entstanden die dichten Quartiere für die chinesischen Arbeiter, während sich zum Wasser hin wenige repräsentative Bauten und viele Lagerhallen abwechselten. Das Rathaus konnte 1909 eröffnet werden. Eine im selben Jahr durchgeführte Volkszählung ergab, dass nun 130 Europäer in der Konzession wohnten, dazu kamen 235 Japaner, 516 bei Europäern angestellte Chinesen sowie 2050 weitere Chinesen. Es gab 42 europäische Wohnhäuser, 55 Lagerhäuser, 69 Zusatzbauten, 23 Fabriken und 382 »chinesische Gebäude«. Um 1909/1910 verhandelten die Ausländer (Briten, Franzosen, Deutsche, Russen und Japaner) mit der lokalen Administration vergeblich um die Erweiterung der Konzessionsgebiete. Gleichzeitig gab es in der deutschen Gemeinde eine Diskussion darüber, wie der Charakter und das äußere Erscheinungsbild verbessert werden könnte. Das Ergebnis legte man 1911 in einer baupolizeilichen Vorgabe nieder. Von nun an brauchte man eine am deutschen Baurecht ausgerichtete Genehmigung für Hochbauten, die vor allem den Feuerschutz im Blick hatte.

Der Wuchang-Aufstand im Oktober 1911 war der Anfang vom Ende der Qing-Dynastie in Peking und hinterließ auch in Hankou seine Spuren. Die revolutionäre Unübersichtlichkeit wollten die Ausländer für ihre Forderungen nach Erweiterung der Konzessionsgebiete nutzen, die aber von chinesischer Seite geschickt abgewehrt wurden. 1913 entstand die erste deutsche Schule, aber der Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Europa machte sich nicht nur in der Ökonomie bemerkbar. Die deutsche Administration in Hankou entsandte die Männer nach Qingdao, zur Unterstützung gegen die Japaner, die dort ihre Kolonialgebiete erweitern wollten. Der Bau der deutsch-chinesischen Technischen Hochschule musste wegen fehlendem Material aus Deutschland gestoppt werden. 1915 erzwangen die Briten, dass die von den Deutschen angestellten indischen Polizisten ihren Posten verlassen mussten. Es gab nun fünf Restaurants und man hatte die Straßen mit 365 Bäumen bepflanzt. Bei der letzten Zählung Ende 1915 lebten 11.207 Personen in der deutschen Konzession; darunter elf Amerikaner, 10.726 Chinesen, elf Dänen, 116 Deutsche, 96 Briten, vier Franzosen, zehn Italiener, 170 Japaner, sechs Norweger, zehn Österreicher, 16 Filipinos, neun Portugiesen, fünf Russen, acht Schweizer, fünf Türken, und vier Rumänen. Davon waren 7177 Männer, 2615 Frauen und 1400 Kinder.

„Aus der ehemaligen deutschen Konzession wurde nach 22 Jahren wieder chinesisches Gebiet, die »First Special Zone«.“

Im August 1917 erklärte die chinesische Regierung dem deutschen Reich den Krieg, um so die Souveränität über die deutschen Kolonialgebiete zurückzugewinnen. Aus der ehemaligen deutschen Konzession wurde nach 22 Jahren wieder chinesisches Gebiet, die »First Special Zone«, die kurz darauf durch die »Second Special Zone« erweitert wurde, da die junge Sowjetunion 1920 die Russische Konzession zurückgab. Nach Ende des Krieges repatriierte man die meisten Deutschen. Viele kehrten jedoch in den zwanziger Jahren unter neuen Bedingungen zurück, um ihre Geschäftsaktivitäten wieder aufzunehmen.

Heute hat sich naturgemäß nach so langer Zeit nur noch wenig direkt Sichtbares erhalten. Aber die rigide Grundstruktur der ursprünglichen Rasterplanung blieb auch nach Umbenennung der Straßen bestimmend für den öffentlichen Raum. Damit ist dieses Quartier gegenüber den anderen ehemaligen Konzessionsgebieten immer noch erkennbar.

Quellen

Torsten Warner, Deutsche Architektur in China, Berlin 1994; Bayrische Staatsbibliothek München; Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin; Historisches Institut der Deutschen Bank, Frankfurt a. M.

Über den Autor

Eduard Kögel (*1960), Dr. Ing., Studium an der Gh Kassel im Studiengang Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung. 1999–2004 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Planen und Bauen in außereuropäischen Regionen der TU Darmstadt. 2007 Dissertation zu Rudolf Hamburger und Richard Paulick in China an der Bauhaus-Universität in Weimar. 2009–2011 Forschungsprojekt zu Ernst Boerschmann an der TU Berlin. Lehraufträge an der TU Darmstadt, TU Berlin und Bauhaus-Universität Weimar. Publikationen u. a.: The Grand Documentation, Ernst Boerschmann and Chinese Religious Architecture, Berlin/Boston 2015 und Architekt im Widerstand, Rudolf Hamburger im Netzwerk der Geheimdienste, Berlin 2020. Seit 25 Jahren Forschung zum Austausch zwischen Europa und Asien. www.eduardkoegel.de

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